Geschichte und Politik



    Europäisch sind die Traditionen und das Lebensgefühl, lateinamerikanisch ist die Politik. Argentinien ist eine Bruchzone zwischen Europa und Lateinamerika, hat Jorge Louis Borges einmal gesagt.“1



1776 wurde vom Spanischen König das Vizekönigreich „La Plata“ mit Buenos Aires als Hauptstadt gegründet.

Die nur wenige Monate dauernde Besetzung von Buenos Aires durch britische Militäreinheiten im Jahr 1806 und deren Vertreibung stärkte bereits damals das Selbstbewußtsein der Bewohner von Buenos Aires.

1816 erklärte Argentinien die Unabhängigkeit. 1853 wurde die erste Verfassung veröffentlicht. Bis ins Jahr 1880 gab es „Bürgerkriege“2 (d. h. die Verfolgung und Ausrottung der Eingeborenen).



Peron und Peronismus



1946 wird General Juan Domingo Peròn zum Präsidenten gewählt, der zuvor militärischer Beobachter3 im damals faschistischen Italien war und schließlich 1955 durch einen Militärputsch gestürzt wird.

Damals entstand der „Peronismus als nationales Phänomen (...).“4

Besonders berühmt wird während seiner Amtszeit seine Frau Evita Perón durch ihren Einsatz für soziale Reformen und Wohltaten, für die im damals noch sehr reichen Nachkriegsargentinien („Kornkammer“) reichlich Geld vorhanden war.



Guerilla



Es folgt eine Zeit wechselnder Präsidenten und Militärrevolten, begleitet Anfang der 70er Jahre von Flügelkämpfen innerhalb der peronistischen Bewegung.

Die politische Spannbreite innerhalb der peronistischen Bewegung hätte größer nicht sein können: Marxistische geprägte Revolutionäre auf der einen, faschistisch beeinflußte Reaktionäre auf der anderen Seite.“5

Gleichzeitig bildeten die verschiedenen politischen Richtungen Guerillagruppen, mit denen sie den bewaffneten Kampf antraten.

Es gab (...) die Montoneros6 und die Descaminados (Hemdlosen), diese Gruppen hatten zusammen die OAP gegründet, die Organisation der bewaffneten Peronisten. Daneben gab es die linken Organisationen, die größte von ihnen war die PRT7-ERP8, (...).“9

Die PRT, die Partei der Revolutionären Arbeiter hatte trotzkistische Ursprünge,(...) Im Juli 1970 wurde sie nach vietnamesischem Vorbild (...) der ERP gegründet, Das Revolutionäre Heer des Volkes.“(...) das Heer ist der bewaffnete Arm, die militärische Kraft der Arbeiterklasse und des Volkes, dessen sich das revolutionäre Volk im bewaffneten Kampf gegen das Heer der Bourgeoisie bedient.“10



Die PRT richtete ihre Gewaltanwendung nicht nur gegen politische, militärische und wirtschaftliche Funktionsträger, sondern sie raubte Geld und Nahrungsmittel zur „Versorgung“ der Armen in den Barrios.11



Militärdiktatur



1973 wird General Perón nach Jahren des Exils erneut zum Präsidenten gewählt, stirbt aber im darauffolgenden Jahr. Seine zweite Frau Isabel Perón, die er zur Vizepräsidentin ernannt hatte, wurde so automatisch zur Präsidentin und regierte bis zum Militärputsch vom 24.03.76.

Daraufhin wird General Videla Präsident, der bis 1981 als Diktator herrscht. Abgelöst wird er von General Viola und dieser wiederum von General Galtieri. Der 1982 begonnene und verlorene Krieg gegen Großbritannien um die Falkland Inseln - für die Argentinien bis heute den Besitz beansprucht - bedeutet auch das Ende der bis jetzt letzten Militärdiktatur.

Während der Herrschaft der Militärs von 1976 bis 1983 verschwanden etwa 30’000 Menschen. Erst im Jahr 1995 brachen einige - inzwischen von Präsident Menem amnestierte - hohe Militärs das Schweigen und bekannten öffentlich das Verschwindenlassen von Menschen. Diese wurden z.B. lebend und mit Gewichten behängt über dem Meer aus Flugzeugen abgeworfen. Bis heute fordern u.a. die Mütter des „Plaza del Mayo“ in Buenos Aires die Aufklärung über das Verbleiben ihrer verschwundenen Kinder bei ihrem wöchentlichen Schweigemarsch vor dem Regierungsgebäude in Buenos Aires.

Die Ära Alfonsin



1983 wird Raúl Alfonsín von der UCR12 in der ersten allgemeinen und freien Wahl seit 1976 mit der absoluten Mehrheit zum Präsidenten Argentiniens gewählt.

In seiner Amtszeit gibt es von 1987-88 drei Militärrebellionen, die aber alle zu Gunsten für die Demokratie beendet werden können.

Die UCR ist die zweite große Partei Argentiniens. Sie regierte bereits von 1916-1930 Argentinien und stellte ab 1983 mit Alfonsín den ersten demokratisch gewählten Staatspräsidenten. Sie ist ebenfalls gespalten in die Anhänger von „Alfonsín“ und in die „conservadores13“.14

Menem wird Präsident



1989 wird Carlos Menem von der Partido Justicialista (über das linke Wahlbündnis „FREPASO“) zum Präsidenten gewählt. Da nach der damaligen argentinischen Verfassung der Staatspräsident der katholischen Kirche angehören mußte, konvertierte Menem dafür vom Islam zum Katholizismus.

Der Menemismus – Argentinien unter Menem als Präsident



Zur politischen Situation in Argentinien im Jahr 1994 einige Kommentare aus der Bevölkerung:

„Wir steuern mit dem Menemismus auf eine Diktatur in der Demokratie zu. Wir Argentinier sind eben so.“15

„Wir selbst wissen nicht, wer welche Politik in Argentinien macht.“16

„Menem ist nicht Peronist. Er hat seine eigene Linie und sucht dafür die Unterstützung der Militärs im Chaco.“17

Diese Kommentare sprechen ein argentinisches Problem der letzten Jahrzehnte an, zu dem die katholische Kirche mit ihrer paternalistischen Struktur nicht unwesentlich beiträgt: das Volk sucht sich eine starke politische Führungspersönlichkeit für die nationale Regierung. Sehr häufig bekommt man von der Bevölkerung auf die Frage, „warum Menem als Präsident?“ als Antwort zu hören, daß man nicht wieder die hohe Inflation und das Chaos von 1988 zum Ende der Amtszeit von Alfonsín haben wolle und deswegen Menem als das kleinere Übel bevorzuge.

Die mit dem Staatspräsidenten Carlos Menem auf nationaler Ebene regierenden „Justicialistas“ teilen sich im heutigen Argentinien auf in zwei Flügel: die Anhänger des derzeitigen Staatspräsidenten Menem, die „Menemistas“ und in die Anhänger des Gründers der „Bewegung“ General Perón, in die „Peronistas“.



Zuletzt geändert: 25.05.2004, 23:44:42

1Encke, Ulrich: „8mal Argentinien“ München 1991 S.7

2Munzinger Archiv: „Internationales Handbuch-Länder Aktuell 26/95“ Argentinien

3„Während seiner Stationierung als militärischer Beobachter in Italien 1939 beeindruckte Perón der Nationalismus der Faschisten sowie die Einmischung des Staates in die italienische Wirtschaft.“ Ball, Deidre (Hrsg.): „APA-Guides ‘Argentinien’“, Berlin 1993 S.50

4Interview mit einem EX-Mitglied der ERP in Weber, Gaby :“Die Guerilla zieht Bilanz“ Gießen, 1989 S.92

5Encke, Ulrich: „8mal Argentinien“ München 1991 S.127

6Montoneros= „1966 aus dem katholisch -nationalistischen Flügel des Peronismus entstandene Gruppierung, die zunächst mit militanten Aktionen für die Rückkehr und Machtübernahme Perons kämpfte.“ Nach dem Tode Perons kämpften sie mit den Waffen aus dem Untergrund für „ihre sozialistischen und nationalistischen Forderungen.“ Duchrow/Eisenbürger/Hippler: „Totaler Krieg gegen die Armen“ München 1989 S.214

7PRT= „Partido Revolucionario de los Trabajadores“ (Revolutionäre Partei der Arbeiter). Sozialistische Organisation

8ERP= „Ejército Revolucionario del Pueblo“ (Revolutionäres Volksheer) bewaffneter Arm der PRT. „Richtig ist, daß die überlebenden Mitglieder der PRT/ERP heute z.T. anderen Gruppen bzw. Organisationen angehören.(...)“ Duchrow/Eisenbürger/Hippler: „Totaler Krieg gegen die Armen“ München 1989 S.215

9Interview mit einem Ex-Mitglied der ERP in Weber, Gaby :“Die Guerilla zieht Bilanz“ Gießen, 1989 S.86

10Weber, Gaby :“Die Guerilla zieht Bilanz“ Gießen, 1989 S. 39

11vgl. Weber, Gaby :“Die Guerilla zieht Bilanz“ Gießen, 1989 S. 40

12„Union Civica Radical“, Argentiniens älteste Partei

13Konservativen

14vgl Gesprächsprotokoll nach einem Besuch bei einem Mitglied des Stadtrates Reconquistas, Tagebuch 07.05.94

15Vom Verfasser aus dem Spanischen übersetzte Aussage einer Sozialarbeiterin in Reconquista/Argentinien, Zitat Tagebuch 07.05.94

16Vom Verfasser aus dem Spanischen übersetzte Aussage von Ehepaar A. in Reconquista/Argentinien, Zitat Tagebuch 26.06.94

17Vom Verfasser aus dem Spanischen übersetzte Aussage einer Sozialarbeiterin aus dem Chaco/Argentinien, Zitat Tagebuch 23.07.94